Verfasst von: Heinz Ney | November 26, 2022

Das Mysterium der gefalteten Edelschwerter

Die legendäre Prussia-Sammlung im Königsberger Schloss war das historische Gedächtnis Ostpreußens. 1945 wurde sie in alle Winde zerstreut. Wissenschaftler rekonstruieren und digitalisieren jetzt die Bestände und machen erstaunliche Entdeckungen.

Berthold Seewald

„Die Welt“, Berthold Seewald, Leitender Redakteur Geschichte

Prussia Prunkschwert
Die Pruzzen verfügten über hochwertige Schwerter. Warum aber wurden viele dieser Klingen gefaltet und damit unbrauchbar gemacht?Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte/Claudia Plamp (2); Montage welt.de

Zu den Opfern von Putins Krieg gegen die Ukraine gehört auch Ostpreußen, oder besser: die Erinnerungsarbeit daran. Als 2005 in Kaliningrad, wie Königsberg seit 1946 heißt, der Stadtgründung vor 750 Jahren gedacht wurde, hatte Moskau noch Zeichen gut nachbarschaftlicher Zusammenarbeit mit deutschen und polnischen Stellen ausgesandt. Eines davon war die Intensivierung der Suche nach der legendären Prussia-Sammlung, die bis 1945 im Königsberger Schloss untergebracht war: das Andenken nicht nur Ostpreußens, sondern weiter Teile des Baltikums.

Inzwischen ist dieser Versuch einer Kaliningrader Identitätsfindung der Einrichtung militärischer Sperrgebiete und weitgehender Abschottung gewichen. Zum Glück hat das wissenschaftliche Großunternehmen, das damals im Geist der Entspannungspolitik erdacht und 2012 gestartet wurde, bereits so viel Fahrt aufgenommen, dass trotzdem eine erste Zwischenbilanz gezogen werden kann. Unter dem sperrigen Titel „Forschungskontinuität und Kontinuitätsforschung. Siedlungsarchäologische Grundlagenforschung zur Eisenzeit im Baltikum“ werden große Teile der Prussia-Sammlung katalogisiert und digital mehrsprachig zugänglich gemacht. Viele ihrer verstreuten Bestände konnten identifiziert, ihre Provenienzen erforscht werden. Hinzu kommen neue Grabungen, konservatorische Maßnahmen und eine naturwissenschaftlich-technische Begleitforschung.

Das Schloss war ein Wahrzeichen Königsbergs. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es zerstört
Das Schloss war ein Wahrzeichen Königsbergs. Ende des Zweiten Weltkriegs wurde es zerstörtQuelle: picture-alliance / akg-images

Einige Zahlen demonstrieren die Größenordnung. Seit dem späten 18. Jahrhundert hatte ein Heer von haupt- und ehrenamtlichen Archäologen und Heimatforschern in Ostpreußen bis zu 400.000 Funde der Prussia-Sammlung zusammengetragen. Zehntausende Artefakte wurden ab 1943 nach Westen evakuiert und gelangten 1949 in die Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Die berühmte Schausammlung blieb in Königsberg und wurde von sowjetischen Truppen erbeutet. Nach dem Ende des Ostblocks 1990/91 wurde Teile des Stadtgebiets zum Eldorado für Ausgräber. So kamen weitere 25.000 Artefakte ans Licht. Ein weiterer Bestand liegt in Allenstein (Olsztyn) in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren.

„Wir haben das Glück, dass wir dies im Rahmen eines auf 18 Jahre befristeten Langzeitprojekts der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz aufarbeiten können“, sagt Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Zusammen mit Claus von Carnap-Bornheim, Vorstand der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, leitet er ein Projekt, dem neben einem angestellten Wissenschaftlerteam zahlreiche Kollegen aus Polen und den baltischen Staaten angehören. Die Zusammenarbeit mit den russischen Kollegen liegt dagegen seit Februar 2022 auf Eis.


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